In unserer heutigen Leistungsgesellschaft sind die Menschen beruflich und privat hohen Belastungen ausgesetzt, z.B. durch Zeit- und Leistungsdruck, Konflikte, Sorgen, Probleme, Verpflichtungen, Ängste um die Zukunft sowie den Spagat zwischen Beruf und Familie. Schlafstörungen, innere Unruhe, Konzentrationsprobleme, Gereiztheit sind einige typische Symptome, unter denen Gestresste oder vom Burnout betroffene Menschen leiden.
Der Organismus läuft auf Hochtouren und vergisst (verlernt) Zug um Zug „sich abzubremsen“. Dabei ist es gerade der harmonische Wechsel des vegetativen Nervensystems von Beschleunigen und Abbremsen, der einen gesunden und gesund bleibenden Organismus kennzeichnet – im Kleinem (Herzschlag) wie im Großen (Ruhe und Aktivität im Alltag).
IGTV hat sich mit der Burnout Beraterin Melanie Kohl getroffen um in „aller Ruhe“ ein Gespräch über Stressdiagnostik, und mögliche Therapieansätze zu führen.
IGTV:
Frau Kohl sie waren Führungskraft in der Pharma-Industrie und sind nun als Burnout Beraterin tätig, warum?
Melanie Kohl:
Ich war zuletzt ca. 150 Tage im Jahr auf Dienstreisen unterwegs, habe viel international gearbeitet mit unserer Zentrale in Paris, was zur Folge hatte, dass ich morgens meistens den ersten Flieger um 6.00 Uhr genommen habe und abends den letzten um 20.30 Uhr zurück. Deadlines und Meetings quetschten sich in meinem Terminkalender und dann gab es immer irgendwo ein Problem, das keinen Aufschub duldete, eine Änderung, die alle bisherigen Planungen über den Haufen geworfen hat. Ich habe gemerkt wie diese Situation an meinen eigenen Kräften und an meiner Gesundheit gezerrt hat. Die Folge war, dass ich mich in jeder freien Minute mit den Zusammenhängen und Wechselwirkungen von Körper, Geist und Gesundheit beschäftigt habe und diverse Ausbildungen im Bereich Stress- Burnout absolviert habe. So bin ich nun z.B. zertifizierte Stress- und Burnout Beraterin, Trainerin für neuromentales Stressmanagement, zertifizierte Yogalehrerin und ausgebildeter Business Coach. Während meiner Zeit als Marketing Leiterin sind immer häufiger Kollegen auf mich zugekommen oder Menschen aus meinem Freundeskreis, die ich bezüglich Stressreduktion und Burnout Prävention beraten habe. Dies hat letztendlich dazu geführt, dass ich meine Leidenschaften nun zum Beruf gemacht habe und ein eigenes Unternehmen gegründet habe, bei dem mein Motto „Auf Dauer mehr Power“ Programm ist. Alle meine Techniken, die ich heute an meine Kunden weitergebe, habe ich selber im Arbeitsalltag ausprobiert. Dabei ist es mir immer wichtig, dass es einfache Methoden sind, die man überall anwenden kann, im Flugzeug, auf Dienstreise, im Büro etc. ohne großen Zeitaufwand.
IGTV:
Im Rahmen Ihrer Tätigkeit nutzen Sie zur Diagnostik von Stress ein System, das bei der Herzratenvariabilität ansetzt. Was hat es mit diesem System auf sich und wie funktioniert es?
Melanie Kohl:
Die Fitness unseres Herzens ist von der Sauerstoffversorgung (Bewegung), von unserer Fähigkeit zu entspannen und von unseren inneren Stressoren (Gedanken und Emotionen) abhängig. Die Stress-Fitness des Herzens kann direkt über die Variabilität des Herzschlags gemessen werden.
Die Herzratenvariabilität (HRV) ist eine über EKG- oder Pulsmessung leicht zu bestimmende physiologische Größe mit hoher Aussagekraft über den aktuellen Zustand des autonomen Nervensystems (ANS). Dieses nicht willentlich zu beeinflussende Nervensystem ist für einen reibungslosen Ablauf vieler innerer Körperprozesse zuständig, von denen wir nicht viel mitbekommen. Das ANS regelt zum Beispiel ständig Blutdruck, Herzfrequenz und Körpertemperatur, Verdauung und Stoffwechsel. Mit der 1-minütigen HRV-Messung wird die Herzratenvariabilität bei tiefer Atmung (genau 6/Atemzüge pro Minute) bestimmt Mit diesem international anerkannten Test wird die derzeitige autonome Regulationskapazität eines Menschen messbar. Denn ob Sie einen Vortrag halten, 100 Dinge gleichzeitig regeln oder tief schlafen, reagiert Ihr Herz auf jeden Impuls mit einer Änderung der Herzschlagfolge.
Besonders diese situative Anpassung Ihres Herzrhythmus auf Belastung und Entlastung ist wichtig und gesund. Je variabler sich Ihr Herz anpassen kann, umso höher fällt Ihr HRV-Wert aus: Eine hohe Herzratenvariabilität ist etwas Positives! Durch die HRV-Messung lässt sich die Balance von Sympathikus und Parasympathikus einschätzen. Ein gesunder Organismus kann auf beide zurückgreifen: das innere Gaspedal (Sympathikus) und die innere Bremse (Paraympathikus). Dies zeigt sich durch ein dem Atem angepasstes Ansteigen und Abfallen der Herzfrequenz bei tiefer Atmung.
Das Biofeedbacksystem zeigt Ihnen nach der Messung, ob Ihr Wert im roten, gelben oder
grünen Bereich im internationalen Altersvergleich liegt.
Ein schlechter Wert kann auf eine Erkrankung, Stress oder einen ungesunden Lebensstil hinweisen und sollte ggf. ärztlich abgeklärt werden
IGTV:
Welche Möglichkeiten haben die Leute, um Ihre HRV zu verbessern?
Melanie Kohl:
Um die HRV zu verbessern gibt es verschiedene Ansätze. Gezieltes Anti-Stress-Coaching mit Mentaltechniken sowie regelmäßige Bewegung wirken sich positiv auf die HRV aus, da sich das Herz wie jeder Muskel des menschlichen Körpers trainieren lässt. Durch regelmäßige Entspannungsübungen mit speziellen Atemtechniken kann man seinen Herzschlag bewusst beeinflussen und die Herzratenvariabilität verbessern.
IGTV:
Wo sehen Sie Risikogruppen und welche Präventionsmöglichkeiten haben sie?
Melanie Kohl:
Treffen kann Burnout praktisch jeden. Es gibt jedoch Berufsgruppen, die einem stärkeren Burnout Risiko unterliegen als andere. Dazu gehören Lehrer, Pflegekräfte, Sozialarbeiter, Ärzte und Polizeibeamte. Diese Berufsgruppen sind überdurchschnittlich häufig betroffen, denn ihre Tätigkeiten sind mit zwischenmenschlichen Extremsituationen verbunden – Hier ist Verständnis, Perspektivenwechsel, Hingabe – kurz emotionale Präsenz gefragt. Dies sind wichtige Faktoren bei der Entwicklung von Burnout-Symptomen.
Eine weitere Risikogruppe, die häufiger gefährdet ist, sind Menschen in Leitungsfunktionen. Bei Managern und Führungskräften liegen drei Faktoren gleichzeitig vor, die Burnout begünstigen: Hohe Verantwortung, großer Arbeitsaufwand und die permanente Forderung nach mehr Leistung.
Um einem Burnout-Syndrom gezielt vorzubeugen, ist Zufriedenheit mit dem eigenen Leben ganz entscheidend. Egal, wie gut man seine Arbeit machen will und wie hoch die Anforderungen auch sein mögen, ein angemessener Ausgleich zur Arbeit ist unerlässlich. Dafür ist es notwendig sich selbst Grenzen zu setzen und diese auch zu respektieren. Allzu großen Perfektionismus sehe ich kritisch, denn 150% kann auf Dauer niemand leisten. Man sollte Zeit für gezielte Entspannung einplanen, wie z.B. einen Spaziergang im Wal, das Hören seiner Lieblings-CD. Auch regelmäßige Bewegung und ausreichend Zeit mit Freunden zu verbringen, statt die eigenen Sozialkontakte auf die Kollegen zu beschränken ist wichtig, um Burnout vorzubeugen. Zu wenig oder zu schlechter Schlaf wirkt sich negativ auf die Tagesaktivitäten und eine optimistische Grundhaltung aus. Deshalb sollte auf ausreichend Schlaf geachtet werden. Um selbst eine Einschätzung zu erhalten wie hoch das aktuelle Stresslevel ist, empfehle ich 1-2 pro Jahr eine Stressmessung durchzuführen.
Weitere Informationen zu der HRV finden Sie bitte unter: www.melanie-kohl.de
Melanie Kohl
Business Coach, Stress-/Burnout Beraterin, zertifizierte Yogalehrerin