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Geschichte der Diabetologie: Frederick Banting und Charles Best

Diabetes mellitus, zu deutsch die „Zuckerkrankheit“, ist in seinen verschiedenen Erscheinungsformen mit mindestens 400 Millionen Erkrankten weltweit, davon über 7 Millionen in Deutschland, die häufigste Stoffwechselstörung beim Menschen. Allen Varianten der Krankheit ist gemein, dass das lebenswichtige Stoffwechselhormon Insulin (benannt nach den so genannten Langerhans-Inseln, einem Bereich innerhalb der Bauchspeicheldrüse, wo es normalerweise gebildet wird) seine wesentliche Funktion, die Regulierung des Zuckerstoffwechsels nicht erfüllen kann. Dafür gibt es zwei Hauptursachen: Entweder kann die Bauchspeicheldrüse überhaupt kein Insulin mehr produzieren, weil ihre hormonbildenden Zellen zerstört sind (Diabetes Typ 1), oder aber der Körper entwickelt eine mehr oder minder starke Resistenz gegen die Aufnahme des Hormons (Diabetes Typ 2).

Diabetes Ernährung

Heute können Diabetiker dank medizinischer Versorgung mit synthetisch hergestelltem Insulin, das mittels eines kleinen Injektionsstiftes regelmäßig unter die Haut gespritzt wird, zumeist ein normales Leben führen; in vielen Fällen von Typ 2-Diabetes reichen auch schon eine angepasste Ernährung bzw. Medikamente in Tablettenform, um den Zuckerspiegel im grünen Bereich zu halten.

Historisch gesehen ist es bemerkenswert, dass, obwohl das Leiden schon Jahrtausende bekannt ist, eine wirksame symptomatische Behandlung erst vor etwa 90 Jahren entwickelt werden konnte. Doch der Reihe nach: Wesentliche Symptome eines krankhaft veränderten Zuckerhaushalts wie Mattigkeit, starkes Durstgefühl und häufiges Wasserlassen werden schon in medizinischen Schriften der antiken Hochkulturen beschrieben, ebenso das Phänomen, dass der Urin der Erkrankten einen süßen, honigartigen Geschmack hat. Lange Zeit vermuten Mediziner die Ursache in einem Magen- oder Nierenleiden, was, wie wir heute wissen, ein falscher Ansatz war.

Auf der richtigen Spur hingegen ist im 16. Jahrhundert der Schweizer Arzt, Alchemist und Philosoph Theophrastus Bombastus von Hohenheim (1493-1541), besser bekannt als Paracelsus. Er kommt zu der Erkenntnis, dass die Zuckerkrankheit Folge einer Stoffwechselstörung sein muss und versucht das Leiden mittels radikaler Diät („Hungerkur“) in den Griff zu bekommen. Im 17. und 18.Jh. schreiben verschiedene englische Ärzte über den süßen Geschmack des Urins von Erkrankten; zu dieser Zeit wird auch erstmals die Bauchspeicheldrüse als mögliche Quelle des Leidens erwähnt.

Im 19.Jh. gelingt französischen Forschern zunächst der Nachweis, dass es sich bei der süßen Substanz im Urin Erkrankter tatsächlich um Zucker handelt. Später sind es deutsche Mediziner, die den Erkenntnisstand voran treiben: Der Virchow-Schüler Paul Langerhans (1847-1888) untersucht den inneren Aufbau der Bauchspeicheldrüse; die Ärzte Josef von Mering (1849-1908) und Oskar Minkowski (1858-1931) weisen im Tierversuch nach, dass sich nach Entfernung der Bauchspeicheldrüse schnell alle Symptome der Zuckerkrankheit auftreten – und sich auch wieder abschwächen, wenn man den Tieren Gewebe aus der Drüse unter die Haut pflanzt.

Nachdem als gesichert gilt, dass eine Substanz aus der Bauchspeicheldrüse verantwortlich für den Zuckerhaushalt ist, versuchen vor guten hundert Jahren Mediziner und Chemiker weltweit einen heilenden Extrakt herzustellen; ab 1910 kursiert in der Fachwelt bereits der Begriff Insulin für die noch zu findende Substanz, abgeleitet von ihrem Entstehungsort, den so genannten Langerhansschen Inseln, also dem von Paul Langerhans zuvor untersuchen Drüsengewebe. 1916 gelingt dem rumänischen Chirurgen und Biologen Nicolae Paulescu (1869-1931) erstmals die Herstellung eines wasserbasierten Extraktes. Er testet die Wirksamkeit der Substanz erfolgreich an einem zuckerkranken Hund, veröffentlicht seine Studien kriegsbedingt aber erst 1921 und lässt sich das Präparat im Folgejahr unter der Bezeichnung Pankrein (nach der lateinischen Bezeichnung Pankreas für die Bauchspeicheldrüse) patentieren. In der Fachwelt wird daher Paulescu heute mehrheitlich als der eigentliche Entdecker des Insulins angesehen.

Größeren Ruhm erlangen indes zwei kanadische Wissenschaftler, die etwa zeitgleich mit Paulescu an der Herstellung eines Bauchspeicheldrüsen-Extraktes arbeiten: Der Chirurg Frederick Banting (1891-1941) und sein studentischer Assistent Charles Best (1899-1978) können ebenfalls 1921 eine Substanz isolieren und einen zuckerkranken Hund erfolgreich behandeln. Sie nennen ihre Substanz zunächst Isletin. Nachdem ein beauftragter Chemiker einen hochreinen, alkoholischen Extrakt herstellt, wagen die Forscher im nächsten Jahr den großen Schritt, nämlich die Erprobung am Menschen. Als Proband dient ein dreizehnjähriger Junge, der seit anderthalb Jahren schwer zuckerkrank ist und ohne wirksame Behandlung bald gestorben wäre. Das Experiment gelingt: Die Symptome des Patienten bessern sich in kurzer Zeit; er überlebt weitere 14 Jahre. Ein weiterer, damals erst fünf Jahre alter Patient wird mit der externen Zuführung von Insulin sogar über 70 Jahre alt. Banting und Best lassen ihr Verfahren ebenfalls patentieren, noch im selben Jahr beginnt in Kanada die industrielle Herstellung von Insulin aus Schlachtabfällen (Drüsengewebe von Rindern und Schweinen). 1923 beginnt das Frankfurter Pharmaunternehmen Farbwerke Hoechst AG (später Aventis, heute Sanofi) mit der Großproduktion in Deutschland. In diesem Jahr erhält Frederick Banting für die Nutzbarmachung des Insulins den Medizin-Nobelpreis, zusammen mit – nein, nicht seinem Assistenten Best, sondern mit dem Biologen John Mac Leod, der den Forschern sein Labor in Toronto zur Verfügung gestellt hatte.

Die Insulingeschichte ist damit jedoch keinesfalls zu Ende: Zwar wird schon 1928 nachgewiesen, dass Insulin chemisch ein Eiweißbaustein (Protein) ist, doch es vergehen weitere 35 Jahre, bis die chemische Struktur des Stoffes komplett entschlüsselt ist. Die erste chemische Synthese von Insulin gelingt erst 1963. Die Umstellung der Produktion von Insulin aus tierischem Gewebe auf synthetisch, also von genetisch veränderten Bakterien oder Hefepilzen gebildeten Extrakt erfolgt Anfang der 1980er Jahre; der erste moderne Insulinpen zur einfachen Applikation kommt 1985 auf den Markt. Seit Anfang des 21. Jahrhunderts stehen lang wirksame Analoginsuline zur Verfügung, so dass Patienten die Substanz nicht mehr, wie zuvor üblich, mehrmals täglich spritzen müssen.

Gegenwärtig sowie in der näheren Zukunft steht die weitere Verbesserung der Therapie hinsichtlich der nach wie vor zahlreichen möglichen Folgeerkrankungen und Komplikationen bei langjährig bestehendem Diabetes im Fokus der medizinischen Forschung. Das Thema Diabetes und seine optimale Behandlung bleibt also spannend.

Text: Alexander Strauch

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