Ihre Gesundheit

Ferdinand Sauerbruch

Hier beleuchten wir das Leben und Wirken jenes Mannes, der heute einerseits als der bedeutendste, einflussreichste deutsche Chirurg in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts gilt, andererseits aber auch wegen seines ambivalenten -manche sagen gar, opportunistischen- Verhältnisses zum Nationalsozialismus in der Kritik steht.

Ernst Ferdinand Sauerbruch

Ernst Ferdinand Sauerbruch

Ferdinand Sauerbruch wird im westfälischen Barmen, heute Wuppertal, geboren. Nach dem frühen Tod seines Vaters wächst er beim Großvater, einem Schuhmacher auf. Als auch dieser früh an Tuberkulose (TB; „Gallopierende Schwindsucht“) stirbt, führen Sauerbruchs Mutter und deren Schwester den Handwerksbetrieb weiter – auch, um dem begabten Ferdinand ein Medizinstudium finanzieren zu können. Seine Ausbildung ab 1895 führt ihn nach Marburg, Leipzig, Jena und Göttingen. Erste praktische Tätigkeiten als Assistenzarzt leistet er 1901/1902 in Kassel und Erfurt. Es folgt 1903 eine erste, kurze Zeit im Krankenhaus Berlin-Moabit , von wo aus er an die chirurgische Universitätsklinik in Breslau wechselt. Hier entwickelt Sauerbruch als Volontärarzt bei Prof. Mikulicz-Radecki ein neuartiges Unterdruckverfahren zur Operation am offenen Brustkorb (Druckdifferenzverfahren) und stellt diese Methode auf dem 33. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie im Juni 1904 der Fachöffentlichkeit vor. Es folgen 1905 die Habilitation als Chirurg sowie der Wechsel ans Universitätsklinikum Greifswald. 1908 wird Sauerbruch Oberarzt und Professor in seinem alten Studienort Marburg, um zwei Jahre später als Direktor der Chirurgischen Klinik ans Kantonsspital nach Zürich zu wechseln. Hier entwickelt er die operative Behandlung der Lungentuberkulose weiter; nach einem freiwilligen Jahr als beratender Armeechirurg im Ersten Weltkrieg widmet er sich der Konstruktion von künstlichen Gliedmaßen für Kriegsversehrte. Die berühmte „Sauerbruch-Hand“ erlaubt unter Einbeziehung noch vorhandener Muskelstränge eine Reihe willkürlicher Bewegungen, was zu dieser Zeit ein absolutes Novum darstellt.

Nach Kriegsende 1918 folgt er einem Ruf an die Universität München, wo er neben seiner Lehrtätigkeit neue Wege in der Wiederherstellungschirurgie erforscht und die Möglichkeiten der Verpflanzung von gesunden Knochenteilen als Ersatz für zerstörtes Gewebe erweitert. Er veröffentlicht seine Erkenntnisse in den Werken „Die willkürlich bewegbare künstliche Hand“ sowie „Chirurgie der Brustorgane“. Im Jahr 1928 schließlich gelingt es der Berliner Charité, den hervorragenden Mediziner als Professor für Chirurgie in die Hauptstadt zu holen. Hier arbeitet Sauerbruch bis zu seiner Entlassung aus dem Lehr- und Klinikbetrieb 1949. Er erwirbt sich weiteren Ruhm als Herzchirurg mit dem von ihm 1931 erstmals erfolgreich durchgeführten operativen Beseitigung einer Herzwandausbuchtung (Aneurysma).

Dr. Ferdinand Sauerbruch bei einer Operation

Dr. Ferdinand Sauerbruch bei einer Operation

Sauerbruchs Rolle als führender Mediziner in den Jahren der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft wird, wie eingangs angedeutet, bis heute kontrovers beurteilt. Als sicher gilt, dass er kein glühender Verfechter der Nazi-Ideologie war (er wurde auch nie Parteimitglied), anderseits den braunen Machthabern aber auch nicht seine Mitarbeit verweigerte. In den uns vorliegenden Quellen finden sich reichlich Belege für diese ambivalente Haltung: So half Sauerbruch einerseits jüdischen Medizinerkollegen bei deren Emigration und pflegte weiterhin fachliche sowie private Kontakte mit ihnen, andererseits nahm er auch dankend Auszeichnungen aus den Händen der neuen Herrscher entgegen und plädierte auf Fachtagungen für eine „notwendige Mitarbeit am nationalsozialistischen Staat“ oder sprach von der Machtübernahme der Nazis als „Wiedergeburt des unwürdig behandelten und zurückgesetzten (deutschen) Volkes“. Vor allem aber bleibt Sauerbruch bis Kriegsende 1945 ein unermüdlich operierender Chirurg, der in den letzten Kriegswochen sogar seinen Wohnsitz in die Charité verlegt. Auch die sowjetische Besatzungsmacht weiß um die Fähigkeiten und die Autorität des Chirurgen und lässt ihn nach Kriegsende als Klinikleiter der Charité, die jetzt im sowjetischen Sektor liegt, im Amt.

Sauerbruchs späte Jahre sind von  der Tragik einer fortschreitenden Altersdemenz bestimmt, was ihn indes nicht davon abhält, weiterhin seiner Operateurstätigkeit nachzugehen. Es kommt zu einigen Todesfällen infolge mangelhaft ausgeführter Eingriffe, doch wagt kein Kollege, den hoch angesehenen (gefürchteten?) Arzt von seinem zunehmend fatalen Tun abzuhalten. Niemand will öffentlich als Kritiker des berühmten Sauerbruch dastehen. Erst Ende 1949 gelingt es mehreren Vertrauten dann doch, Sauerbruch zur Amtsaufgabe zu überreden, was die sowjetzonale Presse als freiwilligen Gang in den wohlverdienten Ruhestand verkauft; die politische Teilung Berlins ist zu dieser Zeit vollzogen, es herrscht kalter Krieg und es soll dem Westen keinesfalls eine Vorlage geliefert werden, die Entlassung Sauerbruchs als politisch motivierten Akt propagandistisch auszuschlachten. Doch dies ist noch nicht das Ende der Geschichte, denn eine Privatklinik in (West)Berlin-Grunewald bietet Sauerbruch in Unkenntnis seines Gesundheitszustandes die Mitarbeit an, was dieser freudig annimmt. So kommt es zu weiteren Operationsunglücken, bis ihm auch dort das Arbeiten untersagt wird. Nichtsdestotrotz finden viele Unwissende noch immer den Weg in sein Privathaus, um sich von dem berühmten Mediziner behandeln zu lassen. Nur durch beherztes Eingreifen ihm Nahestehender können hier größere Unglücke meist verhindert werden. Ferdinand Sauerbruch stirbt am 2. Juli 1951. Sein Grab findet sich auf dem Friedhof Wannsee, Lindenstraße.

Text: Alexander Strauch   Fotos: Institut für Historische Medizin der Charité

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