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„Wohnen 50+“ – persönliche Erfahrungen eines jungen Architekten

Die Faszination des Architektenberufes liegt vor allem darin, mit nahezu allen Aspekten des menschlichen Lebens irgend wann einmal in Berührung zu kommen. Dabei spielt zumindest am Beginn der Karriere das Thema „Wohnen im Alter“ keine besonders herausgehobene Rolle.

Das kommt in den besten Familien vor.

Die Faszination des Architektenberufes liegt vor allem darin, mit nahezu allen Aspekten des menschlichen Lebens irgend wann einmal in Berührung zu kommen. Dabei spielt zumindest am Beginn der Karriere das Thema „Wohnen im Alter“ keine besonders herausgehobene Rolle. Kulturbauten, Bauen im Bestand und Wohnen als städtebaulicher Parameter sind die Themen, mit denen Wettbewerbe gewonnen werden und die den Alltag architektonischer Arbeit bestimmen.

Sohn und Mutter

Mit dem zunehmenden Alter meiner heute siebzigjährigen Mutter entwickelte sich bei mir jedoch immer stärker das Bewusstsein für die Relevanz dieser Thematik. In vielen gemeinsamen Gesprächen wurde dieses Thema von den unterschiedlichsten Seiten beleuchtet und meiner Mutter war anzumerken, dass sie es in dieser Auseinandersetzung mit oft sich widersprechenden Gefühlen zu tun bekommt. Die Lust an einem interessanten Ort noch einmal etwas Neues zu beginnen stand auf der einen Seite. Auf der anderen stand die Furcht vor der möglichen Einsamkeit, an einem Ort, eventuell weit entfernt von den eigenen Kindern und die Unsicherheit, wie und wo denn das Passende zu finden sein könnte.

Sohn und Mutter 2

Jede Entscheidung ist einzigartig.

Zwar wird jede Entscheidung für einen bestimmten Wohnort und die passende Wohnform individuell getroffen, so dass sich daraus nur bedingt allgemeine Schlüsse ziehen lassen. Jedoch ist aus den Erfahrungen mit diesem Themenkomplex eine Zusammenstellung von Aspekten entstanden, die zwar nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, aber, so meine ich, wichtige Themen berührt, die für qualitätvolles Wohnen im Alter notwendig sind. Vielleicht als Hilfestellung für all jene, die mit dieser Thematik konfrontiert sind, interessant aber auch für Menschen, die an der Entwicklung von Wohnangeboten für Menschen 50+ beteiligt sind.

Lassen Sie sich Zeit.

Die wichtigste Erfahrung in diesem Prozess der Auseinandersetzung ist, gleich voraus geschickt, sich Zeit zu lassen. Es ist ein langsamer Prozess der Diskussion, des Entwickelns und Verwerfens von Ideen und Vorstellungen, der in unserem Fall rund zwei Jahre in Anspruch genommen hat.

Wir bekommen es mit der ganzen Bandbreite an Gefühlen zu tun, oft heftigen Reaktionen auf das sich Ablösen von alten Lebenssituationen und dem Aufbau neuer Perspektiven. Das braucht Zeit und Geduld; und je früher das Thema im Leben des älter werdenden Menschen auf die Agenda gesetzt wird, um so besser. Die Entscheidungsspielräume, das Gefühl, Herr des eigenen Lebens zu sein sind um so größer, je geringer der äußere Druck durch nachlassende Kräfte oder gar Krankheit ist. Das bewusste, selbstbestimmte Herbeiführen einer Veränderung der eigenen Lebensumstände ist die wichtigste Grundvoraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben im Alter.

Das Leben in den eigenen vier Wänden bleibt das vorrangige Ziel.

Der Wunsch nach größtmöglicher Autonomie bestimmte in unserem Fall auch das Nachdenken über die passende Wohnform. Das Leben in den eigenen vier Wänden, der eigenen, individuellen Wohnung, blieb das vorrangige Ziel. Damit waren klassische Seniorenwohneinrichtungen mit Ihren am Gebäudetyp Hotel orientierten Konzepten (Zimmer statt Wohnungen, Flurerschliessung, Speisesäle mit festen Verpflegungszeiten, etc.) bereits sehr früh außen vor. Altersgerechtes Wohnen war das Stichwort, mit einem höchst möglichen Grad an Eigenständigkeit, verbunden mit dem Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben, so lange wie möglich. Gerne würde man auf altersgerechte Freizeit- und Versorgungsangebote Zugriff haben, aber selbst entscheiden, ob und ab wann man von diesen Gebrauch machen möchte.

Wohnen 50+ muss bezahlbar sein.

Neben dem Wunsch an einem interessanten Ort zu leben, oder dem Bedürfnis bzw. der Notwendigkeit in die Nähe der Kinder zu ziehen, stehen die eigenen finanziellen Möglichkeiten am Anfang der Entscheidungskette. Und hier der Appell an die Entwickler von Konzepten für ein Wohnen 50+: Altersgerechtes Wohnen muss bezahlbar sein!

Bei einer Durchschnittsrente in Deutschland von derzeit rund 1200,- € im Monat gilt es Konzepte zu entwickeln, die sowohl was das Angebot, als auch was die bauliche und räumliche Qualität der Objekte angeht, dem erreichten Standard der Lebensqualität im bisherigen Wohnumfeld entsprechen. Je nach Größe sollten Mietwohnangebote inkl. anteiliger Zusatzleistungen für altersgerechtes Wohnen (24 Stundenbereitschaft, Seelsorge, Bereitstellung von Freizeit- und Serviceangeboten,) 15,-€/qm brutto, warm nicht übersteigen, eher sogar erheblich darunter liegen. Das Ziel sollten 12,-€/qm brutto, warm sein. Daraus resultiert eine ideale Wohnungsgröße für eine Person von rund 50qm. Auf dieser Fläche lassen sich altersgerechte und dennoch wohnliche Grundrissvarianten entwickeln.

Aber auch auf kleineren Flächen ist anspruchsvolles Wohnen möglich. Beispiele aus anderen Bereichen, wie dem studentischen Wohnen, haben aufgezeigt, dass durch gute Ideen und einer genauen Analyse der tatsächlichen Wohnbedürfnisse, das Wohnen auf kleiner Fläche qualitätvoll und ästhetisch anspruchsvoll sein kann.

Hier ist die Innovationskraft der Architekten und der Bauherrn gefordert.

Aber nicht nur der Neubau bietet Möglichkeiten: auch eine altersgerechte und zeitgenössisch-ästhetische Anpassung von Bestandsbauten hält Potentiale für kostengünstige Wohnangebote bereit. Vor allem der Nachkriegswohnungsbau in infrastrukturell gut angebunden, eher peripheren Bereichen der Städte böte sich hier an, auf dieses Ziel hin untersucht zu werden. In kleinen oder mittelgroßen Städten, deren Zentren an Bewohnermangel leiden, könnten auch innerstädtische Lagen günstige Rahmenbedingungen bereithalten. Mischkonzepte mit auf bestimmte Lebensabschnitte hin konzipierten Wohnformen böten zudem die Möglichkeit, die im Vergleich zu großen Wohnungen teueren Erstellungskosten kleinerer Wohnungen durch Mischkalkulationen erschwinglich zu halten. Zudem beugt eine Durchmischung in der Altersstruktur einer möglichen Ghettoisierung vor und hält eine Mannigfaltigkeit an zwischenmenschlichen Begegnungsmöglichkeiten bereit.

Keine Angst vor der Großstadt.

Der Umzug in eine Großstadt, oft motiviert durch den Wohnort der Kinder, stellt sicher für ältere Menschen die größte Herausforderung dar. Die Befürchtungen sich im „Großstadtdschungel“ nicht zurecht zu finden überlagern oft die gerade für ältere Menschen meist sehr positiven Aspekte des Lebens in der Großstadt. Das gut ausgebaute Nahverkehrssystem ermöglicht ein unabhängiges, preisgünstiges und sicheres Erkunden der Stadt und des stadtnahen Umfeldes. Nahversorgungs-und Serviceeinrichtungen sind meist überall leicht zu erreichen. Und bewegt man sich auch nur ein wenig aus dem Stadtzentrum heraus, so machen Hektik und Verkehr der Stadt meist einem ruhigeren, grüneren Wohnen Platz, wo nachbarliche Beziehungen in einem überschaubaren Masstab leicht aufzubauen sind und die Eingewöhnung leicht fällt.

Beispiel Grundriss

Klein aber fein.

Beim Wohnen im Allgemeinen und beim Wohnen 50+ sollten die Wohnungsgrundrisse durch raffinierte Lösungen die Möglichkeit eröffnen, auf ein Mehr an Quadratmetern zu Gunsten eines ressourcensparenden Mehr an Qualität zu verzichten. Qualität im Grundriss bedeutet hier nicht nur, dass die mittlerweile selbstverständlichen Aspekte des barrierefreien Bauens umgesetzt werden, sondern auch, dass wichtige Aspekte des Wohnens in diesem Lebensabschnitt Berücksichtigung finden.

Es ist in der Regel ja ein mehr- oder weniger freiwilliges Abschied nehmen von größeren Räumen, oft vom eigenen Haus. Die Herausforderung für einen Architekten liegt nun darin, Erfahrungen, die über die Jahre in größeren Wohnungen und in Häusern gesammelt worden sind und meist unterschwellig mit hoher Lebensqualität assoziiert werden, überzeugend in einen kleineren Maßstab zu überführen. Dazu zählen vor allem helle, abwechslungsreich belichtete Räume, die das Erleben der Tages- und Jahreszeiten ermöglichen und ein ausreichend bemessener Bewegungsraum, der im Idealfall die Wohnung mittels eines Rundgangs erschliesst. (s. Skizze). Damit dies gelingen kann, sind offene, kleinteilige Bebauungsformen notwendig. Hier werden über Eck geplante Grundrisse, die einen unterschiedlichen Lichteinfall zu unterschiedlichen Tageszeiten ermöglichen, machbar. Eine mittlere Bebauungshöhe bis zu drei Geschossen führt zu einer stärker gefühlten Nähe zu dem umgebenden Aussenraum und zu kleineren Hausgemeinschaften mit hohem Identifikationswert. Ausblicke in unterschiedlich gestaltete Außenräume, bodentiefe Fenster und geschützte Balkone vergrößern den Innenraum nach draußen und lassen viel Licht in die Räume.

Rückzug, Geselligkeit und …

Eine Wohneinheit für eine Person sollte immer über mindestens zwei verschließbare Zimmer verfügen. Es ist von entscheidender Bedeutung für das Wohlbefinden in den eigenen vier Wänden,  dass die Möglichkeit besteht, ein Zimmer – meist ist es der Schlafraum – vor Besuchern verborgen, also den engsten Privatbereich vom Wohnbereich getrennt zu halten. Denn nur so kann im Wohnbereich ohne Scham und Verlegenheit Besuch empfangen und bewirtet werden. Der Wohnbereich muß daher so groß bemessen sein, dass der Bewohner auch Sitzmöbel für Besucher bereithalten kann. Der allein für sich stehende Ohrensessel vermittelt sonst sofort das Gefühl von Einsamkeit und stimmt traurig. (s. Skizze). Unter diesen Voraussetzungen bleibt die räumliche Entsprechung einer Alltagsstruktur, die in der Trennung von Tag- und Nachtaktivität besteht, erhalten.

… Kontinuität.

Im Rahmen der Umzugsplanung werden viele lieb gewordene Möbel und Dinge einer Überprüfung unterzogen und müssen, meist mangels Platz veräußert oder verschenkt werden. Ein essentielles Merkmal qualitätvollen Wohnens liegt jedoch in der Erfahrung von Kontinuität. Die wirklich wichtigen Dinge, meist verbunden mit der Biographie eines Menschen, müssen Platz und Raum auch hier finden und einnehmen dürfen. Es muss zwar nicht alles sichtbar sein, was zum „persönlichen Schatz“ eines Menschen gehört, aber es muss in seinen Räumen vorhanden sein.

Klinker

Um dies zu erreichen ist bei der Positionierung der Zimmertüren und Fenster darauf zu achten, dass ausreichend tiefe Wandvorlagen (s. Skizze) zur Aufnahme auch tieferer Schränke vorhanden sind. Dadurch wird verhindert, dass der freien Blick in die Räume durch Schrankseiten verstellet wird und die Räume wirken großzügiger und heller. Mit einem vielfältiges Angebot an Stauraum in Form von Einbau- und Wandschränken werden kleine Wohnungen zusätzlich von der Sichtbarkeit zu vieler Dinge entlastet. Die Räume wirken dadurch größer und beruhigter. Eine intelligente Küchenplanung mit ausreichend bemessenem Stauraum entlastet die Wohnräume zusätzliche von notwendigem Volumen für Geschirr, Gläser, Töpfe, Vasen und ähnlichem. Schließlich sollten ausreichend Wandflächen zur Verfügung stehen, um Regalen, Bildern und liebgewordenen Erinnerungsstücken ausreichend Platz zu bieten.

Lerchenholz

Farblich abgestimmte, veredelte und geschützte Holzoberflächen für Boden, Türen und Fenster sollten den atmosphärisch warmen aber dennoch neutralen Hintergrund für die individuellen Vorstellungen von Einrichtung bieten und mehr als nur eine standardisierte Aufstellung von Möbeln zulassen.

Gestimmtheit und bauliche Gestalt

Im sozialen Kontext des Älterwerdens kommt einer Forderung an das qualitätvolle Bauen, nämlich dem Einsatz alterungsfähiger Materialien, eine nicht nur materielle sondern auch eine übertragene Bedeutung zu. Alterungsfähige Oberflächen, wie Natur- und Backstein, Bronze, Kupfer und viele Hölzer, entwickeln im Laufe der Jahre, das, was wir als Patina bezeichnen, also ein sich sichtbar vollziehender Prozess der Vergänglichkeit auch der härtesten Materialien. Das Vergehen der Zeit wird durch eine Veränderung der Oberflächen sichtbar. Gebäude, die aus diesen Materialien in einer  zeitgenössischen Formensprache errichtet werden, vermitteln metaphorisch zwischen unserem biologischen, vergänglichen Sein und der Erfahrung und Kontinuität zeitgenössischer Modernität, Scheinbare Gegensätze werden durch die Primärerfahrung baulicher und formaler Kontinuität und Qualität aufgelöst.

Naturstein

In Kombination mit weiteren Faktoren kann sich dann jenes Phänomen einstellen, das wir als Atmosphäre oder Gestimmtheit des Ortes bezeichnen. Dies ist unsere durch Zuneigung gewonnene Erkenntnis von der Unverwechselbarkeit einer bestimmten räumlichen Situation und den einzigartigen Erfahrungen, die wir allein oder mit anderen Menschen dort zu machen in die Lage versetzt werden.

Zu guter Letzt bleibt noch anzumerken, dass wir nach langem Suchen tatsächlich fündig geworden sind und in Berlin ein Wohnprojekt entdeckt haben, das zwar nicht alle aber doch viele der oben genannten Faktoren für ein angemessenes und qualitätvolles Wohnen im Alter berücksichtigt.

So selbstverständlich vieles davon klingen mag, die Umsetzung bleibt bisher die Ausnahme.

Oliver Langhammer, Dipl. Ing. Architekt HfbK, Hamburg/Berlin 2010


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